Im September 1859, kurz vor Beginn eines unterdurchschnittlichen starken Sonnenzyklus‘, brach auf der Sonne einer der stärksten Stürme seit Jahrhunderten los. Nun, im Sonnenzyklus 24, könnten sich die Ereignisse von damals wiederholen. NASA-Wissenschaftler warnen vor monatelangen Stromausfällen auf der ganzen Erde.
Von Dr. Tony Phillips, Science@Nasa (21. Juni 2011)
Der Sonnenzyklus Nr. 10 von 1859 war typisch für die Sonnenzyklen des 19. Jahrhunderts. Diese waren eher schwach und lagen im Vergleich zu den intensiven Weltraum-Sonnenstürmen seiner Zeit weit unter dem Durchschnitt. Derzeit befinden wir uns im Sonnenzyklus 24. Mit diesem könnten sich die damaligen Ereignisse wiederholen, denn die Anzahl der erwarteten Sonneneruptionen gleichen denen des Sonnenzyklus 10. Die damaligen Feuer- und Lichterscheinungen waren so ungewöhnlich, dass die Forscher bis heute nicht sicher sind, wie sie diese einordnen können. Die Erde wurde 1859 – erstmals nach ca. 500 Jahren – mit hochenergetischen Protonen-Druckwellen bombardiert, die nicht nur Auswirkungen auf die Elektrizität hatten; einige Telegraphenämter gingen in Flammen auf und über Kuba und Hawaii waren Polarlichter zu sehen.
Diese Woche haben sich nun NASA-Wissenschaftler im National Press Club in Washington DC zusammen gefunden, um sich die einfache Frage zu stellen: Was, wenn es wieder passiert?
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„Ein ähnlicher Sturm würde uns heutzutage für eine ganze Weile lahm legen,“ sagte Lika Guhathakurta, Solar-Physikerin der NASA. „Die moderne Gesellschaft ist abhängig von High-Tech. Stromnetze, GPS und Satellitenkommunikation sind durch Solarstürme gefährdet.“
Sie und mehr als 100 weitere Besucher nahmen am 5. Space Weather Enterprise Forum (SWEF) teil, welches jährlich stattfindet. Zweck des SWEF ist es, das Weltraumwetter und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft besonders unter Politikern und Katastrophenschützern bekannt zu machen. Die Teilnehmer kommen aus dem amerikanischen Kongress, von der US-Katastrophenschutzbehörde FEMA, von Energiegesellschaften, von der UNO, der NASA, der US-Wetterbehörde NOAA und anderen Institutionen.
Nun, im Jahr 2011, steht auf der Sonne wiederum ein unterdurchschnittlicher Aktivitätszyklus bevor. Das ist zumindest die Meinung der Experten. Das „Carrington-Ereignis“ von 1859 (nach dem Astronom Richard Carrington benannt, welcher die ersten Sonneneruptionen beobachtete) zeigt uns, dass starke Stürme auftreten können, selbst wenn der zugrunde liegende Zyklus ausgesprochen schwach ist.
1859 bestanden die schlimmsten Auswirkungen darin, dass es 1-2 Tage keine Telegraphenübermittlungen gab und viele staunende Menschen auf den tropischen Inseln den Himmel beobachteten. Doch heute, im Jahr 2011, könnte die Situation deutlich ernstzunehmender sein.
Eine Lawine von Stromausfällen, die sich über Fernkabel von Kontinent zu Kontinent ausbreitet, könnte wohl Wochen oder gar Monate anhalten, bevor die beschädigten Stromtransformationen von Ingenieuren wieder hergestellt würden. Flugzeuge und Schiffe könnten nicht mehr auf ihre GPS-Navigation vertrauen. Bankgeschäfte und Finanznetzwerke könnten ausfallen. Der Handel würde in einem für unser Informationszeitalter nie gesehenem Ausmaß zusammenbrechen. Ein im Jahr 2008 veröffentlichter Bericht der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften warnt davor, dass so ein Jahrhundertsturm 20 Mal verheerender für die Wirtschaft wäre als 20 Katrina-Hurricanes.
Während die Entscheidungsträger sich über dieses Bedrohungsszenario informieren, arbeiten NASA-Forscher einige Meilen entfernt an konkreten Handlungsmöglichkeiten:
„Wir sind jetzt in der Lage, den Verlauf von Solarstürmen, die auf der Erde auftreffen, dreidimensional zu verfolgen“ sagt Michael Hesse, Leiter des GSFC Weltraum-Wetter-Laboratoriums und Referent auf dem Forum. „Dadurch können wir Weltraumwetter-Warnungen mit konkreten Handlungsanweisungen herausgeben, um Stromnetze und andere Hightech-Geräte bei extremen Sonnenaktivitätsphasen zu schützen.“
Analysten des GSFC, die dieses 3D-Vorhersage-Modell entwickelten, sprechen von einem koronalen Massenauswurf der Sonne (CME), der seit dem 21. Juni 2011 auf die Erde zurast. Klicken Sie hier um zu sehen, wie dieser CME-Ausstoß unseren Planeten überquert.
Dazu nutzen die Wissenschaftler Daten von NASA-Sonden, die die Sonne umrunden. Die Analysten im Labor füttern diese Informationen in eine Datenbank, die dann von Supercomputern ausgewertet wird. Nur wenige Stunden nach einer mächtigen Eruption spuckt der Computer einen 3D-Film aus, der zeigt, wohin der Sturm gehen wird und auf welche Planeten und welche Raumschiffe er treffen wird. Gleichzeitig sagt der Film voraus, wann diese Ereignisse stattfinden. Diese Art „interplanetarer Vorhersage“ ist einmalig in der kurzen Geschichte der Vorhersage von Weltraumwetter.
„Dies ist eine wirklich aufregende Zeit, um als Weltraum-Meteorologe tätig zu sein,“ meint Antti Pulkkinen, ein Forscher des Weltraumwetter-Labors. „Durch seriöse physik-basierte Weltraumwetter-Modelle sind wir in der Lage vorherzusagen, ob etwas Schwerwiegendes passieren wird.“
Einige der Computerprogramme sind so hochentwickelt, dass sie sogar elektrische Ströme im Erdboden vorhersagen können, sobald ein Sonnensturm losbricht. Denn diese Ereignisse sind die Hauptursache für Beschädigungen an den Stromtransformatoren. Ein von Pulkkinen geleitetes experimentelles Projekt namens „Solar Shield“ (Sonnenschild) zielt darauf ab, jene Transformatoren zu finden, die von Sonnenstürmen am meisten gefährdetet sind.
„Einen bestimmten Transformator für einige Stunden vom Netz zu nehmen, kann wochenlange regionale Stromausfälle verhindern,“ sagt Pulkkinen.
Ein weiterer SWEF-Referent, John Allen vom Direktorat der NASA Weltraumaktivitäten machte deutlich, dass nicht nur die gesamte Menschheit vom Weltraumwetter betroffen ist, sondern insbesondere Astronauten.
„Raumfahrer sind ungefähr viermal mehr Radioaktivität ausgesetzt als Industriearbeiter, die mit radioaktiven Materialien zu tun haben,“ sagt er. „Das ist ein ernsthaftes Berufsrisiko.“
Die NASA prüft sorgsam die radioaktive Dosis, der jeder Astronaut während seiner Berufslaufbahn ausgesetzt ist. Jeder Shuttleflug, jeder Weltraumspaziergang, jede Sonneneruption wird akribisch aufgezeichnet. Kommt ein Astronaut den geltenden Grenzwerten zu nahe, könnte ihm oder ihr sogar verboten werden, die Raumstation zu verlassen!
Genaue Vorhersagen des Weltraumwetters können dazu beitragen, solche Gefahren unter Kontrolle zu halten, indem beispielsweise Aufenthalte im Weltraum verschoben werden, sobald sich Sonnenflares ankündigen.
Bei seiner Rede forderte Allen eine neuartige Form der Vorhersage: „Wir könnten die „All-Clear“-Meldungen nutzen, um im Umkehrschluss herauszufinden, wann es gefährlich ist, nach draußen zu gehen, denn wir alle möchten gerne wissen, wann es sicher ist. Das ist eine neue Herausforderung für die Vorhersagenden. Sie sollen uns nicht nur sagen, wann eine Sonneneruption bevorsteht, sondern auch, wann das eben nicht der Fall ist.“
Der Bildungsauftrag des SWEF ist für die Vorbereitung auf Sonnenstürme sehr wichtig. Lika Guhathakurta und ihr Kollege Dan Baker von der Universität Colorado fragten am 17. Juni 2011 in der New York Times: „Wozu sind Weltraumwetter-Warnungen gut, wenn die Menschen sie nicht verstehen und nicht darauf reagieren?“ Durch Veröffentlichungen hilft SWEF dabei, die Bevölkerung aufzuklären.
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