SPIEGEL_25-2019
In der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL knöpft sich Redakteur Marco Evers die UFO-Enthüllungen aus den USA vor. Mit vorhersehbarem Ergebnis

Von Robert Fleischer (*)

Mit einem kurzen Video unter der – für SPIEGEL-Verhältnisse – ungewöhnlichen Überschrift „Natürlich sind das UFOs“ teasert das Nachrichtenmagazin ein Thema aus seiner aktuellen Druckausgabe an. SPIEGEL-Redakteur Marco Evers geht darin auf die UFO-Berichterstattung der New York Times und „den Umgang mit unerklärlichen Videos im Internet“ ein.

Man sieht einen Ausschnitt aus einem UFO-Video der To The Stars Academy. Aufgenommen wurde es von einer Infrarotkamera an Bord eines Kampfjets. Evers kommentiert: „An der UFO-These besteht kein Zweifel – die Frage ist: Wie viele Außerirdische sind daran beteiligt? Meine Idee ist: Nicht so viele.“

Als Beleg für seine Idee zeigt Evers anschließend eine weitere Infrarotaufnahme. Sie zeigt eine startende Concorde. „Je weiter die Maschine wegfliegt, desto mehr sieht sie aus wie ein UFO“, kommentiert Evers, „nur weil man sich etwas nicht erklären kann, heißt das nicht, dass da gleich Außerirdische dran beteiligt sind.“ Evers fährt fort: „Hätte man mehr Informationen, also zum Beispiel die ganzen Rohdaten aus dem Flugzeug, hätte man die ganzen Radardaten von der Überwachung, dann würde ein volleres Bild entstehen und man könnte ein außerirdisches UFO ausschließen.“

Aber das behauptet niemand

Doch es gibt da ein Problem in dieser Argumentationskette: Niemand – weder die New York Times noch die beteiligten Kampfjetpiloten oder die To The Stars Academy – hat jemals behauptet hat, dass es sich bei den gefilmten Objekten um „außerirdische UFOs“ handele. Im Gegenteil.

Zudem beruht die Einschätzung der Objekte und ihrer unmöglichen Flugeigenschaften nicht nur auf den Videos selbst, sondern auch auf den Aussagen mehrerer erfahrener Kampfjetpiloten sowie den Aussagen von Kevin Day, einem leitendenden Radarspezialisten, der die Objekte 2004 während des „Tic-Tac-Vorfalls“ auf dem Radar der U.S.S. Princeton verfolgte. Weitere Militärs meldeten sich in der aktuell auf dem History Channel laufenden Serie „Unidentified“ zu Wort.

Dass die New York Times und die Washington Post nun ganz ernsthaft über UFOs berichten – mehr noch: Dass die US-Marine neuerdings ein besseres Verfahren zur Meldung von UFO-Sichtungen durch ihr Personal einführen will, löst beim SPIEGEL nicht etwa Zweifel an seiner jahrzehntelang gepflegten Anti-UFO-Haltung aus. Im Gegenteil.

Der Artikel in der gedruckten Ausgabe wartet mit tendenziösen Begriffen und regelrechten falschen Informationen auf. Unter der Überschrift „9/11 aus dem All“ und der Unterzeile „Esoterik: Eine Gruppe von Ufologen glaubt, Beweise dafür zu haben, dass Außerirdische die nationale Sicherheit der USA gefährden“, versucht der Autor, seine kognitive Dissonanz zu verarbeiten.

Dabei sind schon in der Überschrift zwei Fehler enthalten: Es sind nicht Ufologen, die etwas behaupten, sondern Militärs und ehemalige Regierungsmitarbeiter. Und sie behaupten nicht, dass „Außerirdische“ die nationale Sicherheit der USA gefährden würden.

Doch davon lässt sich Evers nicht beirren. Er schreibt:

„Die „Times“-Autoren verschwurbeln ihren eigenen Verdacht so: ‚Niemand im Verteidigungsministerium sagt, dass die Objekte außerirdischer Herkunft sind, und Experten betonen, dass sich gewöhnlich irdische Erklärungen für solche Ereignisse finden.’“

Nun hätte man dieses Zitat auch einfach einführen können mit den Worten: „Das Verteidigungsministerium legt sich nicht darauf fest, um was es sich bei den Objekten handelt.“ Dies wäre objektiv gewesen. Die Verwendung des Wortes „verschwurbeln“ deutet hingegen darauf hin, dass der Autor mit seinem Text ein anderes Ziel als Objektivität verfolgt.

Laut Wikipedia ist „Geschwurbel“:

„ein abwertend gebrauchter Ausdruck der Umgangssprache für vermeintlich oder tatsächlich unverständliche, realitätsferne oder inhaltsleere Aussagen. Anwendung findet das Wort vorwiegend in Umgebungen, wo sprachliche Ausdrucksformen für eine abgrenzende Darstellung von besonderer Bedeutung sind, so in Politik, Religion, Werbung oder auch den Geisteswissenschaften.“

Nun ist gerade dieses Zitat des Verteidigungsministeriums weder unverständlich noch realitätsfern oder inhaltsleer. Warum also hält der Autor es für nötig, sich ausgerechnet von dieser Aussage zu distanzieren?

Wikipedia weiter:

„Für den Herabsetzungsversuch wird meist kein Inhaltsbezug aufgenommen, häufig ist darüber hinausgehend intendiert, einer argumentativen Darlegung für die beabsichtigte Abqualifikation auszuweichen.“

(Nebenbei bemerkt finden sich die Worte „Geschwurbel“, „schwurbeln“, etc. auffällig häufig in Texten von ideologischen Skeptikern wie etwa der GWUP).

Falsche Behauptung

Nun wissen wir also, was Evers mit seinem Artikel bezweckt. Eine inhaltliche Analyse der veröffentlichten Informationen ist von ihm nicht zu erwarten. Stattdessen wird eine falsche Behauptung aufgestellt:

„Die unscharfen Videos der unbekannten Flugobjekte – angeblich, aber nicht nachweislich freigegeben vom Pentagon – verbreiten sich viral im Cyberspace.“

Richtig ist, dass die Videos sich viral im Netz verbreiteten. Falsch ist, dass sie nicht nachweislich vom Pentagon freigegeben wurden. Der US-Journalist John Greenewald von The Black Vault veröffentlichte beispielsweise das Ergebnis seiner Informationsfreiheitsgesetzanfrage nach genau diesem Nachweis. Dort hätte Evers sich das offizielle Freigabeformular „DD Form 1910“ des Pentagon zu den Videos anschauen können. Die Debatte um das Formular behandelt eher die Frage, ob das Pentagon die Videos offiziell für die Öffentlichkeit oder nur zu Forschungszwecken für Vertragspartner der Regierung freigab. Dass Letzteres der Fall ist, bestätigt Pentagon-Sprecher Christopher Sherwood in einem Artikel von The Intercept:

„Sherwood, the Pentagon spokesperson, said the videos were released ‚for research purposes … and not for general public release,‘ which seems a meaningless distinction given their widespread use by news organizations.”

Wir halten also fest: Die Videos stammen nachweislich vom Pentagon.

Wie auch immer. Faktenfrei eröffnet Evers den zweiten Akt seines Artikels mit einer Salve völlig überzeichneter rhetorischer Fragen, die keiner der Beteiligten jemals so gestellt hat – außer Evers selbst:

„Sind die Aliens also wirklich schon da? Zwingen sie gar die hochgerüstete letzte Supermacht in die Knie? Droht ein Pearl Harbor oder ein 9/11 aus dem Weltraum?“

…um sie selbst zu beantworten:

„Was für ein Quatsch.“

Es folgt der altbewährte Rückgriff auf jahrzehntelang gepflegte „Gewissheiten“:

„Noch fehlt jeder Beweis für die Existenz auch nur einer außerirdischen Mikrobe. Die über Jahrzehnte systematisch betriebene Suche nach Intelligenz in den Weiten des Alls ist ergebnislos geblieben.“

Stimmt. Nur: Was hat das mit den UFO-Videos aus dem Pentagon zu tun? Dort hat man ja gerade betont, dass man sich NICHT auf eine außerirdische Herkunft festlegt. Es existieren neben der ETH, der außerirdischen Hypothese, immerhin noch ein paar andere.

Stereotype und Unterstellungen

Womit begründet Evers also nun, dass die UFO-Enthüllungen der letzten Zeit nicht ernst zu nehmen wären? Mit Stereotypen über US-Amerikaner:

„Dennoch werden Aliens vor allem in den USA wohl niemals totzukriegen sein – ähnlich wie Elvis, der immer noch gesichtet wird, obwohl er schon mehr als 40 Jahre unter der Erde liegt. Ufos sind ein tief verwurzelter Teil der manchmal überdrehten US-Popkultur, sie schwirren durch Mainstream-Medien, Hollywood, Thinktanks, Kindsköpfe und durch die Politik.“

Eine ganze Nation derart über einen Kamm zu scheren darf man ruhigen Gewissens als unzulässige Verallgemeinerung bezeichnen, die eines journalistischen Erzeugnisses unwürdig ist. Derart befreit von journalistischen Standards ist es jedoch für Herrn Evers kein Problem, den einzelnen Protagonisten für ihre Beteiligung an den UFO-Enthüllungen persönliche Motive oder auch schlicht Verrücktheit zu unterstellen.

So bezeichnet er den damaligen demokratischen Mehrheitsführer und Mitglied im Bewilligungsausschuss des US-Senats, Harry Reid, als „UFO-Jäger“, der „seinem Herzensprojekt ein Fünf-Jahres-Geheimbudget von immerhin fast 22 Millionen Dollar zugeschanzt“ hätte, wie dieser „freimütig einräumt“.

Den Pentagon-Vertragspartner für die Durchführung von AATIP, Robert Bigelow, bezeichnet Evers als Selfmade-Milliardär, der nicht selten „exzentrische oder schlicht irre Ideen“ verfolge:

„Er hat Poltergeister studieren lassen sowie große, wütende Tiere mit stechend gelben Augen im Nordosten Utahs, die mit Gewehrkugeln nicht zu verwunden sind.“

Da sind wir wieder beim Thema Kognitive Dissonanz: Dass Bigelow mit seinem Forschungsinstitut NIDS in Zusammenarbeit mit dem US-Militärgeheimdienst paranormalen Phänomenen auf der „Skinwalker Ranch“ nachging, will einfach nicht in das Weltbild des Herrn Evers passen. Wie steht es dann erst um die Tatsache, dass die zivile Luftaufsichtsbehörde FAA jahrelang UFO-Sichtungen an den „irren“ Milliardär Bigelow weiterleitete? Dass das angesehene US-Format „60 Minutes“ von CBS diesen Mann erst Mitte 2017 in einer Sendung portraitierte? Und dass das Pentagon gerade ihn, den irren Milliardär, mit der Durchführung eines brisanten UFO-Forschungsprojekts beauftragte?

Für Herrn Evers jedenfalls ist klar, dass dies nur zu Blödsinn führen konnte. Bigelow Aerospace hätte mit dem Geld aus dem Pentagon „visionäre Ministudien“ über durchfliegbare Wurmlöcher und Antriebe mit Überlichtgeschwindigkeit in Auftrag gegeben. „Dass viele dieser Themen die Gesetze der Physik sprengen, störte offenbar keinen“, wundert sich Evers, ohne sich über sich selbst zu wundern. Hach, diese verrückten, exzentrischen, irren Amerikaner. Hätten sie doch nur vorher mal den Herrn Evers gefragt.

Auch Dr. Harold Puthoff bekommt sein Fett weg. Er sei „Ex-Scientologe“, Parapsychologe und Hellseher, „kurzum: ein Esoteriker in Reinkultur“. Dass eben jener Puthoff viele Jahre lang für die CIA ein gefragter Wissenschaftler war, macht Evers ebenso wenig nachdenklich wie die Tatsache, dass dieser „Esoteriker in Reinkultur“ eine federführende Rolle beim UFO-Forschungsprogramm des Pentagon spielte.

„Ufologenkirche mit Missionsauftrag“

Die „To The Stars Academy” des “heißblütigen Ufo-Fans” Tom DeLonge bezeichnet Evers als “eine Art Ufologenkirche mit Missionsauftrag“. Wie auch immer man diese für europäische Gemüter seltsame Mischung aus Geheimdienst und Entertainment bezeichnen mag – gerade zur To The Stars Academy hätte man sich tiefere Analysen und Antworten vom SPIEGEL gewünscht. Zum Beispiel zu der Frage, wieso es dieser Rockstar geschafft hat, Männer mit hohen Rängen aus dem militärisch-industriellen Komplex, dem Geheimdienst und der Regierung um sich zu scharen, wie etwa Jim Semivan von der CIA, Steve Justice von Lockheed Skunk Works, oder Chris Mellon, den ehemaligen Deputy Assistant Secretary of Defense for Intelligence. Wieso es ihm und seinen Leuten gelang, UFO-Informationen der Regierung in die Öffentlichkeit zu bringen, die für andere UFO-Forscher unerreichbar waren. Und welches Ziel damit letzten Endes verfolgt wird.

Stattdessen offenbart Spiegel-Redakteur Evers seine Gutgläubigkeit gegenüber US-Geheimdiensten:

Die „UFO-Geheimarchive zum Beispiel der CIA sind längst offen, zumindest bis in die Neunzigerjahre hinein“,

schreibt er. Kein Wort darüber, dass es seit vielen Jahren starke Indizien für zurückgehaltene Informationen gibt, wie zum Beispiel im Fall Robert Salas, oder im Falle des jüngst bekannt gewordenen „Admiral Wilson Leak“. Und ist nicht gerade die Existenz von AATIP ein Beweis dafür, dass die US-Regierung noch einige Leichen im Keller hat?

Über all diese Sachverhalte erfahren wir leider nichts im SPIEGEL-Artikel von Marco Evers.

Dabei hätte er eine echte Story daraus machen können.

Und die geht so:

Seit Jahrzehnten schon nehmen Militärs in mindestens 20 Ländern das UFO-Phänomen derart ernst, dass sie Akten darüber angelegt und sie erforscht haben (wie übrigens auch der Bundesnachrichtendienst). In fünf Ländern gibt es staatliche UFO-Untersuchungsbehörden. Frankreich und Italien etwa erforschen das Phänomen seit 40 Jahren ganz offiziell. Großbritannien hielt sein UFO-Forschungsprojekt „Condign“ lange Zeit geheim. Es gibt eine Unzahl an Radardaten und dokumentierten physikalischen Wechselwirkungen. Sowohl die Brasilianer (Offizielle UFO-Nacht) als auch die Franzosen (Cometa-Report) als auch Luis Elizondo selbst vermuten hinter dem UFO-Phänomen auf Grund der beobachteten Flugmanöver eine wie auch immer geartete Intelligenz.

Und nachdem die Amerikaner UFOs jahrzehntelang lächerlich gemacht und abgestritten haben, beginnen sie nun damit, die seltsamen Flugobjekte wieder salonfähig zu machen und ihnen ein gewisses Bedrohungspotenzial zuzuschreiben – just zu einem Zeitpunkt, als US-Präsident Trump angekündigt hat, künftig mit seiner „Space Force“ gegen Bedrohungen im All vorgehen zu wollen.

DAS wäre doch mal eine Story gewesen, die ich vom SPIEGEL erwartet hätte.

(* Disclosure: Der Autor dieses Artikels war vom 1. September bis Mitte Oktober 2001 selbst Hospitant bei Spiegel TV)

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